Vortrag beim Mirapuri World Peace Meeting 2010
10.7.2010
Wenn wir in eine Zukunft eintauchen wollen, die auf Dauer glücklich ist, müssen wir einen allumfassenden Wandel des sozialen, politischen, finanziellen, emotionalen und spirituellen Klimas bewirken. Dies ist keine kleine Aufgabe, die wir verwirklichen müssen, aber im Laufe der Zeit wird sie unsere Lebensart grundlegend wandeln. Schritt für Schritt wird sie in die Geburt einer neuen Kultur münden, die notwendigerweise auf Liebe, Vertrauen und Zusammenarbeit gegründet ist. Dinge und Vorgänge und Einstellungen werden eine neue Form erhalten. Im Laufe dieser Arbeit werden wir jedes Ding im Leben neu betrachten und seinen Status neu bewerten müssen. Einige Dinge werden der Vergangenheit angehören und sollten dort verbleiben und in Frieden ruhen. Andere Dinge sind unzureichend, aber wandlungsfähig, während allenfalls einige wenige bereits in die Zukunft aufgebrochen sind. Die Zukunft ist voller noch unverwirklichter Möglichkeiten, und nur wenn wir diese Möglichkeiten ergreifen, wird es eine glückliche Zukunft werden.
Eines der Dinge, die neu betrachtet werden müssen, ist die Art, wie Menschen interagieren. Dies geschieht auf einer Vielzahl von Ebenen. Eine Interaktion findet statt, wann immer sich zwei oder mehr Menschen begegnen, sei es körperlich, am Telefon oder im Internet. Und selbst wenn wir ein Gedicht eines schon lange toten Verseschmieds lesen, gibt es eine Interaktion. Im Krieg wie im Frieden gibt es ebenso Interaktionen, wie in der Liebe und im Hass. Was die Interaktion zu einer kritischen Kunst in der Geschichte der Menschheit und auf unserem Weg in die Zukunft macht, ist ihre Qualität.
Auf einer gewissen Ebene könnte man sagen, dass zum Beispiel Kriege durch Gier oder durch den Wunsch nach Herrschaft und Macht verursacht werden. Aber wenn wir genauer hinsehen, können wir bemerken, dass die Wurzeln des Krieges tiefer liegen. Sie wurzeln in der Art, wie wir andere Leute sehen. Wenn sie uns nichts bedeuten oder wenn sie uns gleichgültig sind, wenn wir sie gar verabscheuen oder sie hassen, warten Krieg und Streit nur darauf, ihre hässlichen Köpfe zu heben. Wenn wir andererseits unsere Mitbürger lieben und schätzen gibt es keinen Platz für diese Verzerrungen wahrer Menschlichkeit.
Natürlich ist dies nicht der tiefste Urgrund des Krieges. Dieser liegt im Mangel an Kontakt mit der Seele, denn für die Seele sind Einheit und Liebe ein natürlicher Zustand. Eine aktive oder vorherrschende Seele würde das bewusste Wesen zu Liebe, Akzeptanz und Zusammenarbeit leiten. Wenn wir alle also unsere Seele finden würden, dann wären die Begegnungen der Menschen voller Liebe und Wertschätzung, und Kriege wären ein Ding der Unmöglichkeit.
Aber das bedeutet nicht, dass wir alles außer Acht lassen müssen und wir uns nur auf die Enthüllung der Seele zu konzentrieren brauchen, obwohl das essenziell richtig ist. Dieser Vorgang des Enthüllens geht aber nicht von selbst vor sich. Es gibt immer eine anhaltende Interaktion aller Ebenen des Seins, und während eine wachsende Seelenperson ihre Auswirkungen auf Beziehungen und Interaktionen der Menschheit hat, ist das Gegenteil auch wahr. Wenn wir unseren Mitmenschen mit Gutwillen, Mitgefühl und Liebe begegnen und vor allen trennenden und spaltenden Gefühlen zurückweichen, bereiten wir einen fruchtbaren Boden für das Hervortreten der Seele und eine wachsende Einheit der Menschheit.
Doch Brüderlichkeit, Einheit und Liebe können nicht durch Dekrete erzwungen werden, und alle diesbezüglichen Versuche, wie zum Beispiel im Kommunismus, sind fehlgeschlagen. Diese grundlegenden Empfindungen wurzeln eher in der individuellen Interaktion. Wenn also etwas geändert werden muss, dann muss das Fundament geändert werden oder besser modernisiert.
Die kleinste und gebräuchlichste Einheit ist die eines Mannes und einer Frau, welche durch die Geburt von Kindern zu einer Familie anwächst. Durch das Beispiel ihrer Eltern und auf der Grundlage von Atavismen, die wir von unseren tierischen Vorfahren geerbt haben, lernen die Kinder, wie die Welt funktioniert und wie alle Arten von Interaktionen, wie etwa Beziehungen, funktionieren. Sie eignen sich die Formen an und oft auch die innere Haltung und geben sie unbewusst an ihre eigenen Kinder weiter. So läuft das schon seit ewigen Zeiten mit kleinen Veränderungen hier und da, die mehr oder weniger zwingenden Lebensumständen geschuldet sind. Eine solche Variation ist in kriegerischen Völkern, bei denen viele Männer in Kriegen getötet werden, die Polygamie, um das Wohlergehen der Witwen zu gewährleisten oder in ausgeprägt hierarchischen Gesellschaften zum Vergnügen der Reichen und Mächtigen. Und Polyandrie kommt für gewöhnlich dort vor, wo das Leben hart ist und die natürlichen Lebensgrundlagen schwach sind, so dass die Bevölkerung nicht stärker wächst, als es die Region verkraften kann. Und erst in den letzten Jahrhunderten haben dynastische Heiraten und Vernunftehen gegenüber Liebesheiraten an Boden verloren. Es gab also während sehr vieler jahrtausende keine nennenswerte Evolution menschlicher Beziehungen.
Das Ergebnis ist eine Denkart, die im Individuum und der Familie oder allenfalss dem Stammesegoismus gründet. Es ist immer ich oder mein Partner, ich und mein Partner oder der Stamm, der Stamm oder die Nation, die Nation oder die Menschheit. Es gibt immer diesen Dualismus, der in der Art wurzelt, in der menschliche Beziehungen funktionieren, wenn auch nicht ausschließlich. Bei dem hohen Grad an Egoismus und Misstrauen, die trotz religiöser Bemühungen in fast allen Gesellschaften vorherrschten, war das natürlich unvermeidlich, denn es garantierte eine gewisse soziale und emotionale Sicherheit. Aber andererseits verstärkte dieses Sicherheitsbedürfnis das Fortdauern alter Wege und Denkarten.
Diese Praxis vieler Jahrtausende schuf das, was man eine Formation nennen kann. Das bedeutet, sie wird ohne weitere Diskussion als eine Art Grundregel angenommen, als Teil eines Sets von Unveränderlichkeiten menschlicher Existenz.
Inzwischen haben sich aber einige Dinge verändert, und der allgemeine evolutive Prozess hat sich beschleunigt und wird nicht vor menschlichen Beziehungen halt machen. Es liegt an uns, ob wir uns an die alten Wege klammern oder ob wir die neuen Möglichkeiten erforschen, die sich vor uns auftun. Zunehmende soziale Sicherheit und Gleichberechtigung weichen das traditionelle Band der Heirat auf. Und eine größere Beweglichkeit und mehr Komunikationsmöglichkeiten zusammen und zunehmenden Wissen und Selbstbewusstsein führten zu einem größeren Freundeskreis und weniger Abhängigkeiten zwischen Partnern und in der Familie. Das kann und wird zu größerem Egoismus und Bindungsunwilligkeit bei einer großen Zahl von Menschen führen, öffnet aber auch die Tür, um sich von alten Formationen zu befreien und neue Möglichkeiten jenseits von Egoismus, Abhängigkeit und Zwang zu erforschen. Dies ist die Gelegenheit, die Begrenzung des Dualismus zu überwinden, dieses Entweder-oder, mit dem wir uns nie wohlgefühlt haben.
Durch dieses Set von Formationen und den daraus resultierenden sozialen Regeln fühlen wir uns gezwungen, sogar auf der unterbewussten Ebene, einen einzigen Partner zu wählen, eine Person, der wir all unsere unbegrenzte Liebe schenken können und bei der wir ausschließlich unser Verlangen stillen können. Diese Haltung gilt einzig und ausschließlich der geliebten Person. Sollten wir die gleichen Gefühle jemand anderem gegenüber empfinden, dann haben wir ein Dilemma. Die Gesellschaft und meist auch der bereits existierende Partner erwarten von uns, dass wir uns von diesen ungebetenen Gefühlen abwenden und dem bereits existierenden Partner treu bleiben. Wenn wir diese Liebesgefühle nicht zurückweisen können, müssen wir ihnen einen anderen Namen geben, wie platonische Liebe oder Freundschaft, welches der Name ist, den wir bereits für unsere Gefühle gegenüber Mitgliedern des gleichen Geschlechts verwenden wie auch für Empfindungen, die weniger tief sind.
Und wenn wir uns nicht imstande sehen, mit unseren Gefühlen regelgemäß fertig zu werden, wird uns grummelnd gestattet, uns vom ersten Partner zu trennen und uns an den neuen zu binden. Und trotz ihres Unwillens alte Liebespartner zu verlassen, gibt es viele Menschen, die immer wieder eine neue Liebe finden, und was daraus entsteht, nennt man serielle Monogamie oder Monoandrie. Es ist dies eine Möglichkeit, viele Menschen zu lieben, die Halbwegs im Rahmen der Gesellschaft liegt. Aber das ist keine zufriedenstellende Lösung – für keinen Teil der Beziehung.
Und das problem ist nicht nur die Gesellschaft, sondern auch der überraschte Partner, der in der Regel die Erwartungen der Gesellschaft zu seinen eigenen macht, zumindest bis er das selbe Problem bekommt. Ganz plötzlich liebt man nicht nur einen, sonder zwei oder mehr Menschen und muss zwischen ihnen wählen. Einer hat vielleicht ein mitfühlendes Herz, ein anderer das Herz eines Kriegers oder eines Beschützers, einer hat Humor, der andere Intensität… Und jeder einzelne lässt unser Herz sich nach Einheit und allumfassender Liebe sehnen. Und so finden wir es dann ungerecht, gezwungen zu sein, eine Entweder-oder-Entscheidung zu treffen, wenn die offensichtliche und natürliche Lösung unseres Herzen sowohl-als-auch heißt.
Und es gibt bereits so gar ein Konzept für diese Lösung – es heißt Polyamorie, die Viel-Liebe. Es bedeutet, dass Liebe, wo und wann immer sie hervortritt, frei gegeben und angenommen werden und in eine allumfassende Woge der Liebe erblühen kann. Polyamorie unterscheidet sich von Polygamie und Polyandrie darin, dass es normalerweise kein Alpha-Männchen oder Alpha-Weibchen gibt, welches seine Partner, die immer dem anderen Geschlecht angehören, dominiert. In der Polyamorie gibt es keine Ausschließlichkeit, da jeder frei ist, neue Partnerschaften zu bilden, die in ihrer Natur, ihrer Tiefe, ihrem Ausdruck und ihrer Bindungstiefe stark variieren können.
Bislang hat Polyamorie keine große Geschichte und beginnt gerade ihre ersten Schritte wie ein kleines Kind, aber sie wird in ihrer Schwungkraft wachsen, während viele Menschen erkennen, dass eine Heirat oder eine ähnliche Beziehungsform nicht die einzige Möglichkeit ist, seinem Herzen zu folgen, und entdecken, dass es bereits ein Wort und eine Schublade für ihr geheimes Sehnen gibt, dass es keine Notwendigkeit gibt, einen Partner für den nächsten zu opfern, vorausgesetzt er ist willig. Statt also eine Mischung aus Liebe und Leid zu erleben, können sie einem bereits glücklichen Leben mehr Liebe hinzufügen.
Das Konzept der Polyamorie befindet sich noch am Anfang seiner Reise, aber es hat das Peotenzial, uns in eine glückliche Zukunft zu führen. Der erste Schritt auf dieser Reise besteht darin, uns von den angesammelten Lasten einer Vergangenheit zu befreien, die schon lange tot ist, und von den Atavismen unserer Erziehung. Wir müssen uns auseinandersetzen mit Gefühlen des Verlustes, der Eifersucht, des Besitzdenkens, der Zurückweisung, der Furcht, des Trotzes, der Verletzung, des Verrats, des Mangels an Wertschätzung … aber sobald wir diese Hindernisse in uns und unseren Partnern überwunden haben, können wir eine größere Liebe, Glücklichsein, Freiheit, Weite, Nähe, Solidarität, Einssein und Frieden erfahren.
Und während wir lernen, die üblichen Hindernisse zu überwinden, werden wir langsam beginnen, entsprechend unserer Möglichkeiten und unserem Bewusstseinswachstum das Kontinuum der Polyamorie zu erforschen. Die Mehrzahl der heutigen polamourösen Beziehungen werden durch einen Mann mit zwei Frauen oder eine Frau mit zwei Männern gebildet. Und die meisten davon leben nicht zu dritt zusammen, denn irgendwie fühlen sie sich immer noch etwas unbehaglich mit diesem neuen, seltsamen und noch nicht dagewesenen und doch ansprechenden Konzept. Viererbeziehungen gibt es weniger und Fünferbeziehungen gibt es kaum.
Aber diese Beziehungen sind nicht in sich geschlossen, die einzelnen Mitglieder können weitere Beziehungen haben und so Teil mehrerer Poly-Partnerschaften sein. Auf diese Weise bildet sich ein loses Netzwerk und die erste zarte Anmutung einer Art Gemeinschaft macht sich bemerkbar. Wenn solche Netzwerke bewusst wahrgenommen und anerkannt werden, nehmen sie an Stärke zu und fördern die Solidarität der Mitglieder, diein keiner direkten Beziehung miteinander stehen.
In einem nächsten Schritt wird dieses Netzt teilweise durch eine räumliche Verdichtung gestärkt; das bedeutet, dass mehr als nur zwei oder drei Mitgleider des Netzes zusammenleben und eine neue Intensität der Nähe hervorbringen. Diese Art Knoten ähneln dem Frühstadium von Neuronen des menschlichen Gehirns. Um aber dem Prozess eine neue Tiefe hinzuzufügen, um die Reifung einer neuen Art von Gehirn zu fördern, einem globalen, virtuellen Gehirn, ist eine Ausweitung des Konzeptes der Polyamorie notwendig, um dem bereits nicht mehr ganz so lockeren Netzwerk und besonders den Familien-Neuronen-Knoten eine größere Stärke zu geben, mehr Verbindungen und einen höheren Integrationsgrad.
Bis zu diesem Stadium ist die Mehrzahl der Beziehungen wahrscheinlich heterosexueller Natur. Mit der Bildung größerer Einheiten werden viele Menschen des gleichen Geschlechts zusammenleben. Die daraus zwischen ihnen entstehenden Beziehungen werden halbwegs herzlich sein und die Zusammenarbeit betonen und es werden auch enge Freundschaften entstehen; doch die Beziehung miteinander beruht hauptsächlich auf den Partnern des anderen Geschlechts oder durch eine Kette von Beziehungen. Für die Entfaltung einer wahren Poly-Famile, eines voll funktionsfähigen Neurons des globalen virtuellen Gehirns, ist bloße Akzeptanz der übrigen Familienmitglieder des gleichen Geschlechts nicht genug, denn sonst wird sich die Poly-Gemeinschaft in eine männliche und weibliche Seite aufspalten. Es ist sicherlich nicht unerlässlich, dass alle Leute des gleichen Geschlechts eine Beziehung zueinander aufbauen, die sich auch sexuell ausdrückt, aber für einen hohen Integrationsgrad sollten ALLE Mitglieder einer Poly-Familie danach streben, die meisten oder besser alle ihrer nicht unmittelbaren Partner zu lieben, unabhängig von ihrem Geschlecht. Mit diesem Schritt werden einige Reserviertheiten und Hindernisse verschwinden, eine Vielzahl neuer Verbindungen wird entstehen, und die Poly-Gemeinschaft wird ganz und stark werden.
Begrenzungen werden wegfallen und wir werden wahrhaft frei werden. Der Poly-Familie-Neuronen-Komplex wird endgültig entstehen und zahlreiche Verbindungen über die ganze Welt stärken, woraus sich dann ein virtuelles globales Gehirn ergeben wird. Dieser Schritt wird auf dem Weg zu einem globalen Bewusstsein sehr hilfreich sein.
Mit dem Wachstum und der Etablierung der Polyamorie wird wahrscheinlich ein Teil der grundlegenden Denkart des Menschen geändert. Bislang wird diese Denkart von Egoismus und Dualismus dominiert. Aber wenn die Polyamorie zu erblühen beginnt und ein anerkannter Wert im menschlichen Leben wird, werden diese alten Zwänge an Macht verlieren, und sie werden durch eine neue Wirkenskraft im Leben ersetzt. Polyamorie bedeutet, das wir mit anderen auf eine neue und viel offenere Weise in Kontakt treten, als es der gewöhnliche Egoismus erlaubte. Diese neue, vielfältig verbundene Beziehung bedeutet, dass wir ganz natürlich mit einer großen Vielzahl ans Menschen in Verbindung treten, statt nur mit dem alten Einzelpartner. Wir werden uns als wichtigen Teil der größeren Gemeinschaft sehen, die, wie wir wissen, ein Teil der aktiven weltumspannenden Gemeinschaft ist. Dieses grundlegende Verstehen und diese Einstellung werden ein globales Bewusstsein fördern und eine sehr natürliche, fürsorgliche und liebende weltumfassende Zusammenarbeit wie auch das Denken in Verbindungen und Beziehungen statt in Dualismen.
Es heißt, dass Liebe die einzige Sache auf der Erde ist, die umso stärker wird, je mehr man davon gibt. Ohne die Begrenzung nur eine Person leben zu dürfen, kann unsere Liebe also unendlich wachsen. Ohne die Begrenzung von formationen ist es einfacher unsere wahre Natur zu erforschen und zu entfalten und unsere Seele zu finden und sie in uns wachsen und sich entwicklen zu lassen. Mit neuen Einsichten und neuen Verwirklichungen wird unser Bewusstsein wachsen und sich weiten. Die Polyamorie eröffnet uns also ein weites Feld der Entdeckungen und Möglichkeiten und Potenziale. Es liegt an uns, diese zu einem Weg in die Zukunft zu formen, die uns zu Frieden, Einheit, Liebe und Glücklichsein führt.