Pegida & Co. und die Zukunft

policonDie Welt wird immer wieder und in immer schnellerer Folge erschüttert – von Krisen finanzieller und menschlicher Art, von Kriegen, von Umwälzungen und Revolutionen, von Aufständen und Aufbegehren, also von Beben jeglicher Art. Europa ist davon nicht ausgenommen und auch Deutschland nicht. Wir sind alle Teile des Ganzen, und darüber können Grenzen nicht wirklich hinwegtäuschen.

Das jüngste Beben geht von der Pegida aus, den „Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes“, und andere Beben, die immer wieder mal ein Grollen vernehmen lassen, gehen von Gruppierungen aus, die gegen Anpassungen der Bildungspläne an die Realität und die Erfordernisse der Gegenwart sind, oder von Gruppen wie Attac und Occupy, die sich gegen die Fehlentwicklungen in Politik und Wirtschaft zur Wehr setzen.

Die Pegida stellt in ihrem Positionspapier Forderungen, von denen man manche problemlos unterschreiben könnte, wenn sie nicht schon verwirklicht wären und schon fast selbstverständlich sind, oder die fortschrittlich und menschenfreundlich klingen. Jedenfalls war die Diskussion über manche dieser Punkte schon vor ihrem Auftreten in Gange, und andere Punkte sind sicherlich auch diskussionswürdig, zeigen aber auch das Bedürfnis, sich abzuschotten. Zu dem Thema, das die Pegida explizit im Namen führt, also zu Europa und Islamisierung, findet sich aber im Positionspapier nichts wirklich Handfestes.

Und größer ist die Diskrepanz zu dem Positionspapier bei den Demonstrationen, die von ihr auf die Beine gestellt werden. Da geht es nicht um die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen oder um sexuelle Selbstbestimmung oder gegen Radikalismus oder um eine verbesserte Betreuung von Asylsuchenden. Bei den Demonstrationen, in denen sich diese und ähnliche Beben nicht nur hier, sondern in vielen europäischen Ländern äußern, geht es im Grunde genommen um etwas ganz anderes: Weder geht es um Patriotismus, noch um Europa und das heterogene Abendland oder, zumindest nicht im Kern, um Islamisierung – es geht um die Angst vor der Zukunft.Diese Angst ist letztlich ein Konglomerat von vielen verschiedenen Ängsten, von denen die Islamisierung noch die kleinste ist. Was sie so groß erscheinen lässt, ist lediglich das mediale Aufbauschen eines pseudo-religiösen Aspektes verschiedener Terrorgruppen, die sich hinter dem Islam verschanzen, und es sind auch die Bestrebungen der Machtelite verschiedener islamischer Länder, ihre Macht durch ein fundamentalistisches Islamverständnis auszubauen. Unterstützt wird dieses Phänomen in diesen Ländern sicherlich durch Ängste der Bevölkerungen, die denen, die durch die Pegida zum Ausdruck kommen, ziemlich ähnlich sind. Die konservativen und fundamentalistischen Kräfte nehmen eine zunehmende Veränderung ihrer Lebensumstände wahr: eine Verwestlichung und einen Einfluss der amerikanischen Sphäre.

Man kann nicht leugnen, dass der Islam durch seinen extremen Exklusivitätsanspruch und seine explizite Wehrhaftigkeit es den Terrorgruppen und Machteliten leicht macht, ihn für sich zu instrumentalisieren. Das ist aber nichts Neues, nicht wirklich entscheidend und auch nicht auf den Islam beschränkt. Jede Religion lässt sich letztlich auf diese Weise nutzen. Auch wenn das Christentum von den großen Religionen nach dem Buddhismus den Schriften zufolge die zweitfriedlichste Religion ist, so unterscheidet sie sich in dieser Hinsicht doch in der Praxis nicht sehr vom Islam. Inquisition, Hexenjagd, Kreuzzüge und die zahllosen Angriffskriege von Nationen mit christlichen Hintergrund oder gar Anspruch sind jedenfalls nicht Ausdruck des christlichen Ideals, sondern dessen pures Gegenteil. Und den islamischen Fundamentalisten kann man die christlichen Fundamentalisten gegenüberstellen, die die Wissenschaft (Geschichte, Evolution) leugnen, denen Dogmen und Traditionen wichtiger sind, als die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die andere Regierungen dazu drängen, die Lebensbedingungen für Homosexuelle zu verschärfen (Russland) oder gar auf Homosexualität die Todesstrafe zu verhängen – mit offener bis unterschwelliger Billigung der örtlichen Kirchenvertreter (Uganda) – und die angesichts Überbevölkerung, AIDS und ungewollten Teenagerschwangerschaften Verhütungsmittel verbieten wollen.

Religion hat viele Seinsebenen. Der Fundamentalismus ist eine davon. Weitere Ebenen stellen die Heiligen Schriften und die offizielle Auslegung derselben dar sowie das organisatorische Gebäude, das sich um diese bildet. Und schließlich gibt es noch die Ebene der gewöhnlichen Menschen. Diese nehmen die anderen Ebenen zwar wahr und werden davon auch in unterschiedlichem Maße beeinflusst, aber der Großteil der Menschen hat sich einen einigermaßen gesunden Menschenverstand und eine pragmatische Einstellung bewahrt. Die Vertreter verschiedener Religionen kommen in der Regel sehr gut miteinander aus, wenn man sie nur lässt. Beispiele dafür sind Hindus und Moslems in Indien, Christen und Moslems auf Zypern und sogar Juden und Moslems in Israel und dem übrigen Nahen Osten. Spannungen zwischen den verschiedenen Volksgruppen und religiöse Verfolgungen haben fast immer politische Gründe und werden dann schnell fundamentalistisch unterfüttert, wie es dann auch bei den angeführten Beispielen der Fall war. Es sind nicht die einfachen Menschen, die nicht miteinander auskommen, es sind die Politiker und die religiösen Führer – und es sind diese und Menschen voller Hass, Selbsthass und Machtgelüsten, die für den Unfrieden zwischen Völkern und Religionen sorgen. Es ist also kein grundsätzliches Problem, dass Menschen mit anderen Religionen in unser Land kommen. Mit ein wenig Gutwillen von beiden Seiten kann man sehr gut miteinander auskommen.

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Dresden, wo die Pegida ihren Ursprung und größten Rückhalt hat, zu den Gegenden Deutschlands gehört, in der die wenigsten Muslime leben, so dass hier von einer Überfremdung noch lange keine Rede sein kann. Und hier ist auch der Anteil an Nazis und Sympathisanten recht hoch. Das Problem scheint also neben Politik und Fascho-Ideologie eher ein Problem der Wahrnehmung zu sein. Vordergründig könnte man sagen, dass die Medien mit ihrer Berichterstattung die Sachlage aufbauschen und und künstlich ein Problem erzeugen. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen und die Folge eines generellen Systemfehlers, der darin liegt, dass die Berichterstattung mehr Wert auf schlechte Nachrichten legt, als auf gute, weil sie leichter zu erkennen und zu vermitteln sind, und weil sie einen höheren Aufmerksamkeitswert haben. Da hält man sich dann an einem Thema fest, und schnell wird aus einer anfänglichen Mücke ein Elefant und setzt sich dann auch als solcher im Bewusstsein fest.

Die mediale Wahrnehmung ist aber nur ein Aspekt, und nicht unbedingt der wichtigere. Von größerer Bedeutung scheint die Reaktion darauf und die innere Wahrnehmung zu sein. Da eine Überfremdung objektiv nicht existiert, eine solche aber subjektiv empfunden wird, muss man nach den Ursachen dieser Empfindung suchen. Vielleicht hilft es, hier einen Blick auf ein nahe verwandtes Phänomen zu werfen – den Umgang mit sexuellen „Abweichlern“ jeder Art, insbesondere Homosexuellen. Auch hier werden Bedrohungen gesehen und abstruse Horrorszenarien geschaffen, die keinen Bezug zur Realität haben und soweit gehen, dass sich Heterosexuelle von einer objektiv geringen Präsenz Homosexueller in den Medien, insbesondere Serien und Spielfilmen, bedroht fühlen. Der Anteil homosexueller Menschen in der Bevölkerung entspricht mit ca. 5 % etwa dem Anteil von Muslimen, in Dresden dürfte er sogar darüber liegen. Der objektive Anteil homosexueller wie muslimischer Menschen in den Unterhaltungsmedien liegt aber so deutlich darunter, dass man eigentlich von einer Unterrepräsentierung ausgehen muss, von einem Totschweigen.

Eine weitere Ähnlichkeit besteht zu dem Begriff der Islamisierung. Es gibt auch eine genauso irrationale Angst vor einer Homosexualisierung, die sich im Widerstand gegen überarbeitete Bildungspläne ausdrückt, die einfach nur für eine verbesserte Aufklärung über sexuelle Vielfalt sorgen sollen. Und diese Angst drückt sich aus in der Frage: Was wäre, wenn alle homosexuell wären? Was hier zum Ausdruck kommt, ist die Angst, dass Homosexualität und Islam ansteckend sind, und dass die Menschen in Scharen zu diesen „Feinden“ überlaufen werden, wenn sie nur die Möglichkeit dazu bekommen.

Nun, Homosexualität ist nicht ansteckend, kann aber, wenn sie akzeptierter und sichtbarer wird, dazu führen, dass sich weniger Menschen mit dieser Seinsweise verstecken und dass Menschen, die eigentlich bisexuell sind, sich auch trauen, mal etwas mit dem eigenen Geschlecht anzufangen. Das wird sich aber im Bereich eines geringen Prozentsatzes halten. Doch kein einziger heterosexueller Mensch wird dadurch jemals homosexuell werden.

Mit dem Islam und dem Christentum ist es so, dass in Deutschland ca. ein Drittel der Bevölkerung keiner Religion mehr angehört – Tendenz steigend –, und in Dresden dürften es sogar mehr sein. Auch hier ist es so, dass sich kein Mensch durch die Gegenwart einiger weniger Muslime genötigt fühlen wird, vom Christentum oder dem Zustand der Religionslosigkeit zum Islam zu konvertieren. Das wird nur machen, wer sich in seiner gegenwärtigen Religion nicht zu Hause und sich dem Islam näher fühlt. Und das wird erst dann zu einem Problem, wenn wir es zu einem solchen machen. Aber wie schon erwähnt, geht die Entwicklung eigentlich in Richtung Religionslosigkeit.

Wenn es also objektiv keinen Grund zur Sorge gibt, woher kommen dann diese Ängste?

Mit dieser Frage ist auch die Frage nach der Zukunft verknüpft. Es ist ein altbekanntes Phänomen, dass ein kranker oder ein gestresster Mensch auf alles, was Krankheit und Stress fördert ausgesprochen empfindlich reagiert, während der gesunde und entspannte Mensch damit keinerlei Probleme hat. Angesichts der Situation, dass Moslems wie Homosexuelle nur marginal sichtbar sind, kann man aus dieser Überreaktion nur auf eine Überempfindlichkeit schließen, die von einer Art Krankheit verursacht wird.

Diese Krankheit beeinträchtigt die Ausformung einer optimalen Zukunft: Es ist die Realitätsflucht, gepaart mit dem Verlust von Wandlungsfähigkeit und mit frühzeitigem Altern und der mangelnden Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Es ist die Unfähigkeit, aktiv auf die Zukunft zuzugehen und der Wunsch, die Vergangenheit in die Zukunft weiterzuverlängern. Und es ist wieder einmal die Suche nach einem Sündenbock, dessen Verdammung einen von den Folgen dieser Krankheit befreien soll. Das ist der eigentliche Hintergrund von Pegida, Bildungsreformgegnern, AfD, Nazis, Proto-Fundamentalisten und ähnlichem.

Die Zukunft ist etwas, das unweigerlich und erbarmungslos auf uns zukommt. Und sie bringt unweigerlich Veränderungen jeglicher Art mit sich. Waren diese bis vor wenigen Jahrhunderten während eines Menschenlebens noch marginal, so sind sie mittlerweile im Vergleich dazu ganz enorm angewachsen; man könnte auch sagen, die Zukunft habe sich beschleunigt. Das bedeutet, dass wir uns immer schneller an neue Umstände anpassen müssen. Das ist eine Realität, und insbesondere ist es die Realität des Jugendprinzips. Ab seiner Geburt lernt ein Mensch ununterbrochen und passt sich immer neuen Umständen und Herausforderungen an. Er ist plastisch und formbar und geht idealerweise mit Neugier und offenen Armen auf das Neue, auf die Zukunft zu. Je älter man wird, desto mehr lässt diese Fähigkeit nach, bis sie schließlich in Altersstarrsinn oder ähnlichen Erscheinungen mündet. Und dabei geht es nicht um das biologische Alter: Es gibt Menschen, die sind auch mit hundert Jahren noch wissbegierig und anpassungsfähig, also jung, wie es auch sein sollte, und es gibt andere, die sind schon in ihrer Schulzeit zu Greisen mutiert.

Die aktuelle Realität besteht darin, dass überall in der westlichen Welt Menschen Zuflucht suchen, die durch alle möglichen Umstände aus ihrer Heimat vertrieben wurden, in der sie eigentlich gerne geblieben wären, wenn sie tatsächlich die Wahl gehabt hätten. Für diese Flüchtlinge ist das ein gewaltiger Schritt, denn sie müssen alles verlassen, was sie kennen und sich einer völlig unbekannten Kultur ausliefern und ihr komplettes Leben umkrempeln. Diese Menschen tauchen vergleichsweise plötzlich in einem unbeweglichen Weltbild auf, genauso, wie homosexuelle und bisexuelle Menschen innerhalb weniger Jahrzehnte ein wenig selbstbewusster wurden und mehr Präsenz und Selbstverständlichkeit zeigen und anfangen, ihre Bürger- und Menschenrechte, die ja auch einer Minderheit zustehen, einzufordern. In einem starren Weltbild, wie es innerlich alte Menschen nun einmal haben, und das noch dazu mit uralten Moralvorstellungen ausgestattet ist, an das sich zudem noch religiöse Institutionen hartnäckig klammern, führt dies natürlich zu Irritationen.

Zugleich ist nicht zu übersehen, dass die Bürger immer mehr gemolken werden, die Arbeitslosigkeit allen frisierten Statistiken zum Trotz steigt, die Schere zwischen Arm und Reich auseinanderklafft, überall Kriege angezettelt werden, die Politik von Lobbyismus, Desinteresse, Flickschusterei, Reformresistenz und Machtkämpfen dominiert wird und die Wirtschaft den Bach runtergeht. Es ist kein Wunder, dass die Menschen dann frustriert sind und akute Existenzangst bekommen. Gleichzeitig verspüren die Menschen ein Gefühl der Ohnmacht und verlieren das Vertrauen in die nachlassende Demokratie. Und darum geht es bei den Pegida-Demonstrationen wirklich.

Diese Ohnmachtsgefühle münden dann üblicherweise in zwei Ergebnissen. Das eine ist das Erstarken nationalistisch-faschistischer Elemente (daher kommt auch das Wort „patriotisch“ im Bewegungsnamen, und darum ziehen die Demonstrationen auch so viele Nazis an). Wenn es den Menschen schlecht geht, besinnen sie sich auf die Werte der Vergangenheit, auf innere Einheit (sprich Vereinheitlichung) und auf einen Patriotismus, der der Vergangenheit angehört und nicht auf einen, der in die Zukunft blickt und die ganze Erde als Vaterland betrachtet. Unsere unrühmliche Vergangenheit ist dafür ein beredtes Beispiel: Mit der Wirtschaft ging es bergab – und mit den Nazis bergauf.

In diesem Beispiel ist dann auch gleich das zweite Ergebnis der Ohnmachtsgefühle zu finden: die Suche nach einem Sündenbock. Das waren im Dritten Reich die Juden, deren Verfolgung auch gleich Geld in die Kriegskassen spülte, die Homosexuellen (äußerer Anlass war der Röhm-Putsch und die Möglichkeit, unliebsame Gegner per Generalverdacht auszuschalten), Sinti und Roma, Zeugen Jehovas und geistig Behinderte. Und heute sind die Sündenböcke die Flüchtlinge und Asylanten, vor allem wenn sie aus dem afrikanisch-arabisch-vorderasiatischen Raum stammen und dann auch noch Muslime sind.

Das ist die Realität hinter den Pegida-Demonstrationen.

Und dann gibt es noch die Realität, die hinter den Flüchtlingen steht und die sorgsam ausgeblendet wird. Dass es Flüchtlinge und Immigranten gibt, ist nichts Neues. Unsere deutsche Identität gründet sich auf einem Sammelsurium von Völkern, die auf der Flucht oder im Krieg bei uns einfielen, seien es Hunnen, Vandalen, Langobarden, Westgoten oder Soldaten des römischen Konglomerats. Das Land, auf dem wir leben, hat jahrtausendelang immer neue Völker aufgenommen, und erst vor Kurzem noch kamen viele Spätaussiedler aus Osteuropa. Und wir haben uns Türken und Italiener ins Land geholt, die mittlerweile in etwa der dritten Generation hier leben. Zwischendurch fand durch die Entdeckung Amerikas und wegen Hunger und Entdeckerfreude von hier aus eine Völkerwanderung auf den neuen Kontinent statt.

Was zur Zeit stattfindet, ist eine Völkerwanderung, die wir selbst verursacht haben. Und mit „wir selbst“ ist pauschal die nördliche Hemisphäre gemeint. Europa hat Afrika und Asien kolonialisiert und ausgebeutet und versucht, diese Länder nach seinen Vorstellungen zu formen, egal, was deren Kultur war. Und die USA und Russland haben nach dem zweiten Weltkrieg versucht, zur geopolitisch dominanten Weltmacht zu werden und Rohstoffquellen in die eigene Einflusssphäre aufzunehmen. Dazu werden Länder aufgerüstet, gegeneinander ausgespielt, Terroristen und Fundamentalisten unterstützt, Regierungen gekauft oder bedroht, die Wirtschaft manipuliert, Hungerkatastrophen in Kauf genommen und andere Dinge gemacht, die man als verantwortungsvoller, ethisch hochstehender Mensch, als Humanist oder als religiöser Mensch nicht machen sollte. Letztlich geht es dabei immer um Macht und Profit. Die Menschen, die bei uns an die Türe klopfen, tun dies, weil wir sie dazu getrieben haben. Sie sind die Suppe, die wir uns vor allem in den letzten sechs bis sieben Jahrzehnten eingebrockt haben.

Und an diesem Punkt müssen wir uns nochmals die Frage nach der Zukunft stellen. Die Pegida-Demonstrationen und ähnliche Veranstaltungen richten sich gegen Auswirkungen und Symptome und entspringen teilweise einer unflexiblen und rückwärtsgewandten Mentalität und sind darum nicht wirklich konstruktiv.

Wir alle, und nicht nur die Pegida-Demonstranten, müssen uns fragen, was wir wirklich wollen, wie wir uns die Zukunft vorstellen. Und wir dürfen nicht engstirnig nach Sündenböcken und Minimallösungen Ausschau halten – wir brauchen eine große, globale Schau, denn es gibt keine wirklichen Einzelprobleme, weil alle Probleme miteinander verflochten sind.

Das Lösungswort, das uns helfen kann, aus der Bredouille herauszukommen und diese globale Schau zu entwickeln, liegt im verlorenen Kind der Mutter der Revolutionen, der Französischen Revolution. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit hatte sie sich auf die Fahnen geschrieben und ziemlich schnell die Brüderlichkeit im Blut- und Machtrausch verloren und bis heute nicht wiedergefunden. Bis heute scheint sie in keiner Verfassung und keiner Gesellschaft auf der Welt eine wirkliche Rolle zu spielen. Nur Geld und Macht sind von Bedeutung.

Unsere ganze Geschichte wird von diesen beiden Punkten dominiert, also letztlich vom Egoismus. Und dieser Egoismus ist für den Hass, die Kriege und Verteilungskriege, für Intoleranz, Einsamkeit, soziale Kälte, Gegeneinander und Ausbeutung verantwortlich. Diese Entwicklung schaukelt sich immer höher und wird früher oder später in einer gewaltigen Explosion münden, aber, wie das Beispiel des Arabischen Frühlings zeigt, keine wirkliche Änderung bewirken. Es bringt nichts, gegen etwas zu sein und gleichzeitig weiter dem Egoismus zu frönen.

Wenn sich etwas ändern soll, entweder um der Revolution zuvorzukommen oder um zukunftsorientiert aus ihr hervorzutreten, dann muss man sich ein wirklich neues oder zumindest konstruktives Ziel stecken. Und hier hilft es, sich einmal über den Kleingeist hinaus die tatsächliche Situation anzusehen.

Wir leben alle auf einem einzigen Planeten. Katastrophen wie die Folgen von Vulkanausbrüchen, die „absolut unmöglichen“ Kernkraftwerkskatastrophen, Bienensterben, Öllecks, Ozonloch oder der Klimawandel machen vor keinen Grenzen halt, ganz egal, wie stark sie vermint sind. Wir stammen allesamt von denselben Ureltern ab, sind also alle miteinander verwandt. Die Ressourcen an Wasser, Ackerböden, Öl, Gas, Erzen usw. sind alle endlich und können nicht vermehrt werden. Manche Ressourcen wie Öl und Gas können nicht nachhaltig genutzt und recycelt werden. Wenn jemand zu viele Ressourcen beansprucht, dann muss die übrige Weltbevölkerung mit weniger davon auskommen. Auch Arbeit kann man als eine Ressource betrachten, die durch zunehmende Automatisierung und Rationalisierung immer weniger wird. In der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung muss man aber arbeiten, um sich versorgen zu können. Wir bilden auf absehbare Zeit ein geschlossenes ökologisches System.

Es gibt zwei Möglichkeiten, mit dieser Sachlage umzugehen. Die eine Möglichkeit, in der letztlich auch die Pegida-Demonstranten involviert sind, besteht im Kampf Jeder gegen Jeden. Dieser muss auf Dauer, weil die Ressourcen sich bereits dem Ende zuneigen, in der Ausrottung eines großen Teils der Menschheit enden und/oder zu einem Rückfall in eine vorindustrielle Gesellschaft führen und wird den Planeten weiter vergiften (Uranmunition, CO2-Überschuss, Pestizide, Fracking-Grundwasser) und unfruchtbar machen (Bodenerosion, Pestizide, Humusabbau…).

Die andere Möglichkeit besteht darin, dass wir lernen, gemeinschaftsfähig zu werden und diesen einzigen Planeten, der uns zur Verfügung steht, gemeinsam zu verwalten. Dann kann zwar vielleicht keiner in großem Luxus leben, aber alle in bescheidenem Wohlstand. Wir müssen lernen, miteinander auszukommen und Verantwortung füreinander und für diesen Planeten zu übernehmen. Wir müssen gutwillig sein, einen klaren Blick für die Probleme entwickeln und geduldig und konsequent zusammenarbeiten, um diese zu beseitigen. Wir kommen auf diesem Planeten nur weiter, wenn wir lernen, uns als Gemeinschaft zur sehen und erleben – bewusst, liebevoll, brüderlich und offen.

Wenn die Pegida-Demonstrationen konstruktiv sein wollen, dann sollten sie sich für diese Ziele einsetzen und sich vielleicht umbenennen, etwa in „Patriotische Weltbürger für Liebe und Zusammenarbeit – PWFLUZ“.

Sicherlich ist das ein großes Ziel, aber wenn man nicht darauf hinarbeitet, wird es sich nicht verwirklichen lassen. Und eine Bemühung darum gibt es es seit 1978, als Mirapuri, die Stadt des Friedens und des Zukunftsmenschen in Italien gegründet wurde. Mirapuri versucht einen Traum zu verwirklichen, den die Künstlerin und Bewusstseinsforscherin Mira Alfassa vor ca. 100 Jahren formuliert hatte: „Es sollte irgendwo auf der Erde einen Platz geben, den keine Nation als ihr Eigentum beanspruchen kann, einen Platz, an dem alle gutwilligen Menschen, ehrlich in ihrem Bestreben, frei als Bürger der Welt leben können und einer einzigen Autorität folgen, der höchsten Wahrheit. Ein Platz des Friedens, der Eintracht, der Harmonie, wo alle kämpferischen Instinkte des Menschen aus­schließlich dazu benützt würden, die Ursachen seines Leidens und Elends zu bewältigen, seine Schwäche und sein Unwissen zu überwinden, über seine Grenzen und Unfähigkeiten zu triumphieren. Ein Platz, an dem die spirituellen Bedürfnisse und die Sorge um Fortschritt Vorrang hätten vor der Befriedigung von Verlangen und Leidenschaften, dem Suchen nach materiellem Vergnügen und Genuss. An diesem idealen Ort wäre Geld nicht mehr der unum­schränkte Herrscher. Individueller Wert hätte größere Bedeutung als der Wert, der aus materiellem Reichtum und sozialer Stellung kommt. Arbeit würde nicht dazu dienen, seinen Lebensunterhalt zu erwerben. Sie wäre das Mittel, um sich auszudrücken, um seine Fähigkeiten und Möglichkeiten zu entwickeln, während man gleichzeitig einen Dienst für die Gemeinschaft tut, die ihrerseits für die Lebensbedürfnisse und das Tätigkeitsfeld des Einzelnen sorgen würde. An diesem idealen Platz wären Kinder in der Lage, ganzheitlich heranzuwachsen und sich zu entwickeln, ohne die Verbindung mit ihrer Seele zu verlieren. Ausbildung würde nicht im Hinblick auf Prüfungen und Zeugnisse und Positionen erteilt, sondern um die vorhandenen Fähigkeiten zu bereichern und neue hervorzubringen. Kurz, es wäre ein Platz, an dem die Beziehungen zwischen den Menschen, die gewöhnlich fast aus­schließlich auf Konkurrenz und Streit begründet sind, durch Beziehungen des Wetteiferns um das Bessertun ersetzt würden, des Wetteiferns um Zusammenarbeit und Beziehungen wahrer Brüderlichkeit.

Das ist ein erstrebenswertes Ideal – lokal, global und langfristig.

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