Zusammenfassung:
Die gegenwärtige Diskussion um Bildungspläne ist auch geprägt von dem Begriff der sexuellen Gehirnwäsche. Die Vorschläge zu ihrer Vermeidung muten aber eher wie eine Anleitung zu ihrer Durchführung an und stützen sich dabei unter anderem auf den gerne missbrauchten und missverstandenen Begriff des Naturrechts. Wirklichen Schutz bietet nur umfassende Information und die Erziehung zu selbstständigem Denken.
Die menschliche Sexualität ist ein hochemotionales Thema, dessen Spannweite von Tabuisierung und absoluter Verklemmtheit bis zu einer verschämten Offenheit und regelrechter Sexsucht reicht. Mehr als jede andere Epoche ist unsere Zeit von einer Auseinandersetzung mit ihr geprägt, die oftmals eher gezwungen als freimütig und begeistert erscheint.
In der Vergangenheit war die Sexualität über eine sehr lange Zeit ein natürlicher und selbstverständlicher Bestandteil des Lebens, über den man zwar nicht viel sprach, dessen Wahrnehmung aber auch nicht mit Unbehagen verbunden war. Sie existierte einfach und wurde ohne Diskussion akzeptiert, so dass es nur ein recht beschränktes Vokabular gab und erst in der Neuzeit die Notwendigkeit einer begrifflichen Differenzierung auftauchte. Die Auseinandersetzung mit der Sexualität begann vor etwa tausend Jahren, als die Kirche die Sexualität als Mittel der Politik und Gängelei entdeckte, was dann in der Einstellung der viktorianischen Epoche seinen Höhenpunkt fand und die sexuelle Wahrnehmung der ganzen europäischen und kolonialisierten Welt beeinflusste. Erst Sigmund Freud begann dann ernsthaft, sich wissenschaftlich mit der Sexualität auseinanderzusetzen. Und seit dieser Zeit befinden wir uns in einem Kampf zwischen jener viktorianischen Weltanschauung und dem Wunsch nach absoluter Freiheit. Dieser Kampf findet auf religiöser, wissenschaftlicher, rechtlicher und gesellschaftlicher Basis statt.
Was zur Zeit geschieht, ist der Wirkung eines Pendels vergleichbar, das lange Zeit vom Viktorianismus auf dem Extrem der Unterdrückung fixiert und durch die Bemühung von Wissenschaft und Humanismus aus dieser Fixierung gelöst wurde. Das Ergebnis ist ein maximaler Pendelausschlag in die entgegengesetzte Richtung eines maximalen Hedonismus. Beide Fraktionen versuchen nun auf diesen Pendelausschlag einzuwirken, und das Ergebnis wird letztendlich ein realitätsnaher Umgang mit der Sexualität sein. Bis es dazu kommt, müssen wir allerdings noch einige Hürden überwinden.
Gegenwärtig dreht sich die Diskussion um das, was gemeinhin mit Gendermainstreaming oder „Gender-Wahnsinn“ umschrieben wird. Ein wichtiger Kritikpunkt ist dabei die Frage der Kindererziehung und -aufklärung und hier der Vorwurf der Frühsexualisierung und der Einflussnahme auf die Kinder, um sie zu Hedonismus und Homosexualität zu verleiten. Man befürchtet also eine Art frühkindlicher sexueller Gehirnwäsche.
Dieser Vorwurf ist ziemlich heftig, und darum ist es notwendig, sich das Thema Sexualität und Gehirnwäsche näher anzusehen.
Zuerst stellt sich natürlich die Frage, wie wir Gehirnwäsche eigentlich definieren? Als umfassende Definition könnte man sagen, dass Gehirnwäsche die Bemühung von Außen ist, die wahre Natur eines Menschen in Teilen oder insgesamt zu unterdrücken und durch etwas anderes zu ersetzen. Ihre offensichtlichste Form wird von Geheimdiensten und religiösen Fanatikern und Terroristen eingesetzt. Etwas subtiler und weniger offensichtlich ist die Form der Einflussnahme, die im Stockholm-Syndrom mündet. Dieses kann man etwa an Politikern beobachten, die dem Einfluss von Lobbyisten ausgesetzt sind.
Wenn man diese Definition der Gehirnwäsche ganz extrem sieht, dann unterliegt man ihr natürlich schon ab der Geburt, denn jeder Mensch wird mit einer Art Grundcharakter und Individualität geboren, die nur ihm eigen sind. Durch Umgebung, Gesellschaft und Erziehung wird auf diesen Grundcharakter von Anfang an eingewirkt, so dass dieser bei jedem Menschen in unterschiedlichem Ausmaß verzerrt wird – in manchen kaum und in anderen bis zur Unkenntlichkeit. Die wahre Kunst der Erziehung, wenn man diese ernst nimmt, besteht aber nicht darin, keinen Einfluss auf die Entwicklung eines Kindes zu nehmen, denn dies ist nicht möglich, sondern die Lebensumstände so zu gestalten, dass jedes Kind die Möglichkeit einer maximalen Selbstfindung und -entfaltung erhält und den weiteren Charakteraufbau auf der Basis seiner individuellen Natur, soweit man dieser gewahr ist, zu fördern und darüber hinaus als eine Art Grundstruktur eine möglichst hohe, offene und weite Ethik, die Raum für individuelle Entwicklung lässt, zu vermitteln, so dass der heranwachsende Mensch die für seinen Bewusstseinsentfaltungsprozess notwendigen Werkzeuge und Freiheiten zur Verfügung hat. Auf diese Weise unterliegt er nur einem Minimum an Gehirnwäsche und kann sich später, als mündiger Mensch und Bürger, auch allen Versuchen einer solchen widersetzen.
Um sich einmal eine fundierte eigene Meinung bilden zu können, ist aber auch ein Mindestmaß an sachlicher Information nötig sowie die Fähigkeit, Sachverhalte einschätzen und eigenständig beurteilen und das Urteil auch revidieren zu können. Vor allem zu Letzterem sind viele Menschen nicht fähig, denn dies setzt eine gewisse Flexibilität und Offenheit im Wahrnehmen und Denken voraus. Und hier zeigen sich ernsthafte Probleme unserer Gesellschaft. Die Fähigkeit zu selbständigem Denken wird zwar großgeschrieben, wenn es um wissenschaftliche Forschung geht, aber ansonsten ist sie nicht sonderlich beliebt, nicht bei Eltern, nicht bei einer traditionsgeprägten Gesellschaft, nicht beim Staat und schon gar nicht bei der Kirche, und selbst Künstler streamlinen sich gerne selbst, vor allem angehende Musiker, wenn nicht schon das Management alles daransetzt, ihnen ein bestimmtes Image aufzuzwingen.
Dieses Streamlining ist dann im Laufe der Entwicklung die zweite, schon etwas weniger subtile Form der Gehirnwäsche, die fließend in die nächste Form regulärer Gehirnwäsche übergeht, der Wissensbeeinflussung, die Hand in Hand mit Meinungsmanipulation und Dogmatisierung geht, und ihren Höhepunkt in der bekannten geheimdienstlichen Gehirnwäsche findet.
Die erste größere Gehirnwäsche durch Dogmatisierung fand im christlichen Raum schon recht früh durch die Kirche statt, die verkündete, dass die einzige legitime Funktion der Sexualität die explizite Bemühung zur Zeugung von Kindern sei, und auch dies nur im Rahmen einer Ehe. Diese Dogmen der Funktionalität und der Notwendigkeit einer Eheschließung, deren Nichtbeachtung anfangs empfindliche Strafen nach sich zogen, haben sich in der kirchlichen Lehre und im Bewusstsein vieler Menschen bis heute gehalten. Das Wort Dogma bezeichnet einen verbindlichen Glaubenssatz, der nicht durch Tatsachen unterlegt ist. Als Begründung für das Funktionalitäts-Dogma wird das Naturrecht angeführt. Naturrecht wiederum bedeutet mehr oder weniger, dass alles, was von der Natur vorgesehen ist, auch richtig und alles andere falsch ist.
Aber dieser Ansatz ist reichlich simplifizierend und dadurch fehlerhaft, und er sagt außerdem aus, dass der Mensch ein Tier ist und sich auch wie ein solches zu benehmen habe. So wird etwa das Recht des Stärkeren aus den tierischen Kämpfen um die Alpha-Position abgeleitet. Und Selbstbefriedigung und Homosexualität werden abgelehnt, weil die Funktion der Sexualität einzig in der Fortpflanzung begründet sei. Aber wenn man sich die Tierwelt so ansieht, dann muss man feststellen, dass es – falls überhaupt – kaum eine Tierart gibt, die richtig und lebenslang monogam lebt, und schon gar nicht unsere engsten Verwandten, die Primaten, die zum Teil bei der Selbstbefriedigung und homosexuellem Verhalten beobachtet wurden, was die Ausleger der Naturrechtslehre gerne übersehen. Wenn man diese Form des Naturrechts auf die Spitze treiben wollte, müsste man also für Hedonismus und gegen die Ehe oder nur für eine zeitlich begrenzte Ehe sein und Selbstbefriedigung und Homosexualität anstandslos akzeptieren.
Und auch die Zweckgebundenheit der Sexualität ist ein Mythos. Es gibt zwar viele Tierarten, deren sexuelle Betätigung periodisch und ausschließlich hormonell gesteuert wird und die ziemlich mechanisch abläuft, aber bei den evolutionär weiter entwickelten Rassen ist dies weniger der Fall. Hier hat die Sexualität einen anderen Stellenwert und ist nicht mehr auf die Zeugung beschränkt. Bekanntestes Beispiel sind die Bonobos, bei denen alle Formen der vom Menschen bekannten Sexualität vorkommen – zusätzlich zur Zeugungsfunktion. Hier hat die Sexualität vor allem einen verbindenden, gemeinschaftsbildenden und moderierenden Charakter.
Man kann aus dieser evolutionären Betrachtung sogar den Schluss ziehen, dass die Entwicklung, die der Mensch genommen hat, überhaupt erst durch diese soziale bis hedonistische Komponente möglich geworden ist und dass wir darum ein möglichst lustorientiertes Leben führen sollten. Aber diese Auslegung des Naturrechts ist wohl bei manchen Menschen eher unbeliebt, was dann zur – prinzipiell nicht unberechtigten – Forderung führt, uns nicht wie Tiere zu verhalten. Die Folgerung daraus ist dann aber, enthaltsam zu leben und sich nur zum gezielten Zeugen von Kindern sexuell zu betätigen.
Nun, vermutlich liegt die Wahrheit in der Mitte, in einer Art immanenten Naturrecht, das sich nicht an der Natur im Allgemeinen orientiert, sondern an der Natur des Menschen, die sich von der Natur anderer Primaten und Säugetiere unterscheidet, und das den Menschen nicht als statisch betrachtet, sondern als ein evolutionäres, sich also weiter entwickelndes Wesen. Und dann müssen wir hier noch unterscheiden zwischen kollektiver und individueller Natur. Wenn es also so etwas wie ein Naturrecht gibt, dann gibt es davon eine Variante, die speziell den Menschen betrifft und die sich in kollektives und individuelles Recht gliedern lässt.
Da jeder Mensch ein Individuum ist, wird jeder eine eigene Auffassung von kollektivem Naturrecht haben. Um dieses zu bestimmen, kann man also nur kollektiv schlussfolgern oder beobachten. Das Ergebnis kann darum nur die allgemeine und statistische Natur des Menschen beschreiben. Abgesehen davon, dass es nie absolute Genauigkeit beanspruchen kann, muss man darauf achten, diese Natur nicht als ewig gültig zu betrachten und als unveränderlich festzuschreiben, denn der Mensch neigt dazu zu sagen: „Das ist so, also muss es so bleiben.“ Das ist aber eine konservierende Haltung, die den Einfluss der Evolution ignoriert. Darum kann man eigentlich nur sagen, dass der Mensch nicht versuchen sollte, die Entwicklung anzuhalten oder sich gar in Richtung Tier zurückzuentwickeln. Er sollte statt dessen nach vorne sehen und versuchen herauszufinden, was noch vor ihm liegt, welche Möglichkeiten noch in ihm schlummern und wie er mehr Mensch, also ein Zukunftsmensch werden kann, wie somit, in der Naturrechtssprache gesprochen, dieses Naturrecht für die Weiterentwicklung fortgeschrieben werden kann.
Es gibt hier eine Gesetzmäßigkeit, die von totalitären und faschistischen Geistern gerne übersehen oder missachtet wird, die in einer Wechselwirkung von Kollektiv und Individuum besteht. Das Kollektiv definiert Rahmenbedingungen, und das Individuum versucht, diesen Bedingungen genüge zu tun. Manche bleiben hinter diesen Ansprüchen zurück, andere sind schon einen Schritt weiter. Aber das Kollektiv wird aus der Gesamtheit der Individuen gebildet und kann sich darum nur durch den Fortschritt des Einzelnen weiterentwickeln.
Wenn also die gewählten oder sonstigen Vertreter des Kollektivs die Regeln des Menschseins konservieren, also eng und restriktiv gestalten, dann bemühen sie sich damit gleichzeitig, den individuellen Fortschritt zu begrenzen und die Entwicklung anzuhalten und so einen schleichenden Tod vorzubereiten, denn alles, was sich nicht mehr entwickeln kann, dreht sich im Kreis stirbt. Da der gemeinschaftliche Fortschritt aber vom individuellen Fortschritt getragen wird, muss der individuellen Entwicklung und dem individuellen Ausdruck maximaler Raum eingeräumt werden.
Und hier kommt das persönliche, das individuelle Naturrecht ins Spiel. Durch das allgemeine Naturrecht kann der Mensch nur verallgemeinernd beschrieben werden. „Den Menschen“ an sich gibt es aber nicht; es gibt eine sehr große Anzahl an individuellen Menschen, die sich alle in einer Vielzahl von Aspekten voneinander unterscheiden. Und was für den einen recht und billig ist, bedeutet für den anderen vielleicht bereits eine große Qual. Das bedeutet, dass jeglicher Versuch, „den Menschen“ in ein Schema einzuordnen und ihn auf Einheitlichkeit hin zu trimmen, wie es etwa im Faschismus geschah, der Versuch ist, das individuelle Naturrecht des Menschen zu unterdrücken und zu reglementieren. Jeder Mensch hat als Individuum eine eigene, einzigartige Natur und trägt mit dieser zur Vielfalt und dem Reichtum der menschlichen Gesamtgesellschaft bei. Für eine gesunde Gesellschaft ist es unabdingbar, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, sich frei zu entfalten und gemäß seines eigenen, individuellen Naturrechts zu leben, soweit er damit nicht andere in deren immanenten Naturrecht ernsthaft beeinträchtigt. Der Wert des Individuums für das Kollektiv und die gegenseitigen Bedingtheit sollte auf gar keinen Fall unterschätzt werden.
Darum wäre es eine weitere Hilfe, wenn die Kollektivvertreter mit geeigneten Rahmenbedingungen und Vorgaben die gesellschaftliche Weiterentwicklung aktiv fördern, den jeder Fortschritt, den das Kollektiv macht und übernimmt, schafft eine bessere Ausgangsbasis für die individuelle Entfaltung gemäß dem eigenen Naturrecht und damit für weiteren individuellen Fortschritt. Auf diese Weise entsteht eine spiralförmige Entwicklung, eine Fortentwicklung, gewissermaßen eine Evolution. Wenn aber die Rahmenbedingungen fixiert oder gar verschlechtert werden, wird eine Flaute erzeugt, und damit eine repressive und depressive Stimmung. Und als Nächstes werden dann soziale und menschliche Errungenschaften abgebaut, und dann beginnt der Rücksturz in die Barbarei.
Dieser kann Jahre bis Jahrhunderte dauern, wird aber früher oder später, sobald die Menschen genug von Unfreiheit, Unwissen und Repression haben, durch eine der vielen Arten von Revolution angehalten und schließlich in eine erneute Wachstumsbewegung gewandelt. Die ganze Geschichte der menschlichen Evolution ist ein solches Auf und Ab, bei dem aber insgesamt betrachtet der Aufwärtsdrang überwiegt, sonst würden wir immer noch auf Bäumen leben. Wir sind jetzt allerdings an einem Punkt angekommen, wo wir bewusst genug sind, diesen Mechanismus des Auf und Ab zu erkennen und ihm entgegenzuwirken; wir müssen nicht wieder zurückfallen in Kriege, Ausbeutung, Unwissen, Unfreiheit und sexuelle Repression, nur weil es geldgierige Waffenproduzenten, machtgeile Politiker, manipulative Finanzimperien und eine kleine, aber recht lautstarke Stagnationslobby gibt, die geprägt ist von starkem Konservatismus, veralteten Moralbegriffen, falsch verstandener Religion, Unwissen, Engstirnigkeit und daraus resultierenden Ängsten aller Art.
Diese Ängste sind aber nicht rational, sondern reflektieren eine persönliche Konstitution. Wenn jemand Angst vor dem Islam hat, dann drückt er damit aus, dass er den Islam für stärker als sein eigenes Wertesystem oder seine eigene Religion hält. Und wenn er Angst vor Homosexualität hat und darum möchte, dass Kinder möglichst nicht mit dieser menschlichen Realität in Kontakt kommen und lernen, die Menschen so zu akzeptieren wie sie sind, dann heißt das übersetzt, das 90 bis 95 % heterosexuelle Menschen nicht ausreichen, um der Versuchung der Homosexualität zu widerstehen. Es ist die Angst, dass Homosexualität, wenn sie sichtbarer und selbstverständlicher Teil des menschlichen Lebens wird, alle Menschen ganz automatisch dazu verführt, selbst homosexuell zu werden. Also wird Heterosexualität als schwächer und weniger anziehend als Homosexualität empfunden. Das bedeutet, dass die Menschen, die so lautstark ihre Ängste bekunden und anderen aufzuzwingen versuchen, einen inneren Kampf gegen die Anziehung der Homosexualität ausfechten, sie also wohl selbst homosexuell oder zumindest bisexuell sind, dazu aber nicht stehen können, weil sie in ihrer Kindheit einer Gehirnwäsche unterzogen wurden, die sie dazu brachte, Homosexualität abzulehnen und mit sich selbst uneins zu werden. Und eine auch nur leicht erhöhte Sichtbarkeit erhöht ihre inneren Qualen. Und wenn man selbst leidet, dann sollen auch die anderen und allen voran die kommenden Generationen mitleiden.
Wo dies nicht der Fall ist, bietet sich noch Unwissen, gepaart mit Gehirnwäsche und Geltungsdrang oder auch nur Geltungsdrang zur Erklärung des missionarischen Eifers an. Unwissen bedeutet, dass man kein Wissen zu einer Sache hat, und da die Sexualität jahrhundertelang tabuisiert wurde, konnte auch kein Wissen wachsen und sich entwickeln und etablieren. Statt dessen wurden die Menschen angefüllt mit Glaubenssätzen, Falschinformationen und Emotionen und diffusen Ängsten, was einer Gehirnwäsche gleichzusetzen ist – und es gibt auch heute noch viele Menschen, die diesem Einfluss unterliegen. Das alleine wäre noch nicht so schlimm; manche Menschen wollen sich nicht ändern, aber früher oder später sterben sie genauso aus wie Unwissen und Aberglauben. Schlimm ist, dass sie ihr Unwissen und ihren Aberglauben anderen Menschen aufdrängen wollen und manchmal auch noch der Meinung sind, ihnen damit etwas Gutes zu tun. Viele Menschen die sich politisch und/oder gesellschaftlich etablieren wollen, wollen dies nicht um einer Sache willen, sondern aus Geltungsdrang. Und am einfachsten geht dies nicht mit Sachverstand und Herz, sondern mit negativen Emotionen. Manche verwenden dazu ihre eigenen Emotionen und Ängste, andere bedienen sich bei dem, was der Emotionsmarkt so bietet, ohne dass ihnen das Thema wirklich am Herzen liegt – Hauptsache, man wird bekannt und bekommt Einfluss.
Und die Leidtragenden dieses Geltungsbedürfnisses und der Selbstgerechtigkeit und des Unwissens sind die Kinder, die zur Zeit im Fokus politischer und subpolitischer Auseinandersetzungen stehen. Es geht hier unter anderem um den Begriff der sexuellen Gehirnwäsche durch Bildung. Hier kann man grundsätzlich sagen, dass jegliche Form der Wissensvermittlung eine Einflussnahme auf die Wahrnehmung und Bewusstseinsentwicklung darstellt – das lässt sich nicht vermeiden. Aber die Form und Absicht, mit der die Wissensvermittlung stattfindet, entscheidet darüber, ob sie entwicklungsfördernd oder – in Form einer Gehirnwäsche – entwicklungshemmend wirkt.
Darüber, dass Gehirnwäsche schlecht ist, sind sich hoffentlich alle einig!? Also muss man sich fragen, wie die notwendige Wissensvermittlung praktisch gestaltet werden soll, um eine regelrechte sexuelle Gehirnwäsche zu vermeiden. Wie schon ausgeführt, ist das Merkmal einer erfolgten Gehirnwäsche, dass man nicht mehr in der Lage und geneigt ist, eine eigene und freie Meinung zu einer Sache zu entwickeln. Mit den Folgen einer solchen Gehirnwäsche musste sich beispielsweise Galileo Galilei auseinandersetzen, als er das kopernikanische Weltbild bekräftigte, dass die Erde sich um die Sonne dreht und nicht umgekehrt, wie es durch die Gehirnwäsche traditionell-religiösen Dogmas festgeschrieben war. Was heute allgemein bekannt und belegt ist, war damals eine ketzerische Undenkbarkeit. Galilei und seine wissenschaftlichen Zeitgenossen mussten sich also für ihr Wirken und ihre Forschungen von der Unfreiheit einer allgegenwärtigen Gehirnwäsche erst befreien, ehe sie ihre Entdeckungen machen konnten und wurden dafür auch noch angefeindet und gequält.
Mittlerweile ist man klüger, und man sollte diese Klugheit auch in die Frage der Wissensvermittlung zum Thema Sexualität einfließen lassen. Eine Lehre, die man aus dem Fall Galileis und vielen anderen Fällen ziehen kann, ist die Erkenntnis, dass Dogmatik schlecht ist. Da diese Lehre selbst bereits einen leicht dogmatischen Charakter hat und man auch sonst immerzu Dogmen ausgesetzt ist, ist es für Erziehung, Charakterbildung und Gehirnwäscheresistenz nötig, den jungen Menschen die Möglichkeit und die Werkzeuge zu geben, Dogmatik zu erkennen und sich mit ihr kreativ auseinanderzusetzen.
Eines dieser Werkzeuge ist die Wissensvermittlung. Diese darf nicht geprägt sein von religiösen Vorstellungen, von Ideologien, Moden und Politismen. Wissensvermittlung muss neutral sein und in der Vermittlung von Sachwissen auf der Basis anerkannter wissenschaftlicher Erkenntnisse bestehen und über die verschiedenen Aspekte einer Sache informieren, also auch Geschichte, Hintergrundwissen und gesellschaftliche Relevanz und kann auch eine Übersicht über abweichende Meinungen geben.
Worauf man in der Regel verzichten sollte, ist die Vorgabe von Meinungen und Wertungen. Aber man sollte alle aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen vorstellen, mit Hintergrundwissen versehen und sie diskutieren. Junge Menschen müssen unbedingt lernen, sich eine eigene Meinung zu bilden und andere Meinungen einzuschätzen und zu beurteilen. Dies ist besonders im Internetzeitalter, in dem man mit Meinungen, Analysen und Meldungen, Falschmeldungen und Teilmeldungen aller Art konfrontiert wird. Ohne wirkliches Wissen und ohne die Fähigkeit der Analyse und unabhängigen Meinungsbildung ist man sonst verloren und wird zum Spielball von Politikern, Populisten und Konzernen. Unabhängiges Denken und die Fähigkeit, Dinge immer wieder neu zu betrachten und nichts als endgültig oder gottgegeben zu akzeptieren ist für eine freie Gesellschaft unendlich wichtig. Das muss unbedingt trainiert werden. Und dafür ist auch umfangreiches und vielseitiges Wissen unverzichtbar.
Zur Zeit ist die Sexualität des Menschen wieder verstärkt in den Fokus gerückt und zu einem Politikum geworden. Es gibt eine kleine, aber lautstarke Bewegung, die sich gegen eine Aktualisierung der Lehrpläne in Hinblick auf die menschliche Sexualität stellt, von Frühsexualisierung spricht und sich gegen eine darin enthaltene sexuelle Gehirnwäsche ausspricht. Ihre Forderungen lauten – offen oder verdeckt –, die Auseinandersetzung mit der Sexualität möglichst weit hinauszuschieben, die heterosexuelle Ehe als einzig anstrebenswerte Beziehungsform darzustellen, über Verhütung unzureichend aufzuklären, vorehelichen Sex zu verdammen und das breite Spektrum der menschlichen Sexualität auf eine unbedingt einzuhaltende Norm zu verengen und Fragen der Homo- und Bisexualität sowie der Geschlechtsidentität zu verschweigen. Das ganze Programm läuft letztlich auf eine Gehirnwäsche hinaus und soll wohl einen Zustand des Unwissens wieder etablieren, wie er vor über hundert Jahren existierte. Mit dieser realen Gehirnwäsche möchten sie eine vorgeblich erwartete Gehirnwäsche bekämpfen.
Aber die einzige Möglichkeit, etwas gegen Gehirnwäsche zu unternehmen, liegt in einer umfassenden Vermittlung von Wissen und in der objektiven Aufklärung. Nur wer Bescheid weiß, kann sich gegen Einflussnahme wehren. Und nur wer Bescheid weiß, kann sich mit seiner eigenen Sexualität verantwortlich auseinandersetzen. Nur wer Bescheid weiß, kann sich eine eigene Meinung bilden, die nur wenig von äußeren Umständen beeinflusst ist.
Wir alle haben uns irgendwie und mehr schlecht als recht durch die beginnende Pubertät gekämpft und uns irgendwie mit der aufkeimenden Sexualität auseinandergesetzt, nur mit Hilfen durchwachsener Natur, die wir irgendwo am Wegrand aufgelesen oder aufgeschnappt haben oder die uns von wohlmeinenden, aber gleichsam unwissenden Freunden verschämt oder aufgebauscht vermittelt wurden. Manche haben eine gesunde Einstellung zur Sexualität entwickelt, andere wurden vom Aspekt der Lust gefangen genommen oder von Zweifel, Angst und Verklemmtheit. Und manche haben sich das Leben genommen, weil sie damit nicht klarkamen und niemanden zum Sprechen oder zum Rat einholen hatten. Man lernt relativ früh im Leben, dass die Sexualität und der Unterleib Tabus sind, und wenn man Glück hat, entwickelt man ein Unterscheidungsvermögen, das es einem ermöglicht, aus dem Nicht-Angebot das herauszufiltern, was man für das eigene Wachstum und Verständnis benötigt.
Ein Teil dieses Nicht-Angebots, also dessen, was uns so zufällig und unabsichtlich über den Weg läuft, sind die Medien. Das sind Pornoseiten, die uns eine extreme Penisgröße und dessen unnatürlich lange Einsatzdauer vorgaukeln und ein entstelltes Bild der Rolle der Frau beim Sex vermitteln. Das ist eine Serien- und Spielfilmwelt, die nicht die Realität widerspiegelt, sondern fast ausschließlich von mal mehr, mal weniger verklemmten Heterosexuellen besetzt ist und in der Bi- und Homosexuelle sowie Menschen mit abweichender geschlechtlicher Selbstwahrnehmung in Hinblick auf deren tatsächlichen gesellschaftlichen Anteil extrem unterrepräsentiert sind. Diese Filme sind aber eine wichtige Quelle für Rollenmodelle der heranwachsenden Generationen. Wenn man da nicht ausreichend repräsentiert ist, wächst in einem leicht das Gefühl, nicht zur Gesellschaft zu gehören und von ihr abgelehnt zu werden oder nicht normal oder krank zu sein.
Normalität als gesellschaftlicher Begriff ist aber ein sehr tückisches Konzept, denn die Natur arbeitet nicht im Schwarz-Weiß-Modus, wie uns Kirche und Traditionalisten glauben machen wollen, sondern eher statistisch. Wenn man also vom Naturrecht für die menschliche Spezies sprechen möchte, so muss man die verschiedenen Aspekte der sexuellen und geschlechtlichen Identität als Kontinuum betrachten und nicht normativ, also binär oder schwarzweiß, wie ein Prokrustes-Bett. Die eigene individuelle Sexualität in ihrer einzigartigen Ausprägung gehört somit zum individuellen Naturrecht, und jeder Mensch hat ein Anrecht darauf, im Erkennen, Verwirklichen und Ausüben dieses Naturrechts gefördert zu werden. Umfassende Aufklärung über alle Aspekte der menschlichen Sexualität ist damit die erste Hilfe, die man heranwachsenden Menschen geben kann.
Da die Eltern sachlich und emotional mit dieser Aufgabe in der Regel überfordert sind (und auch nicht unbedingt alle Kinder scharf darauf sind, mit ihren Eltern über Sex zu sprechen), ist es ihnen meistens durchaus recht, wenn die Schule diese Aufgabe, die ohnehin zur Wissensvermittlung gehört, übernimmt. Beginnen sollte die Schule damit in altersgemäßer Weise vor dem Einsetzen der Pubertät, um die Kinder auf diese vorzubereiten. Zu diesem Zeitpunkt ist es noch am leichtesten möglich, der Tabuisierung und Sprachlosigkeit etwas entgegenzusetzen, so dass die Sexualität den ihr zustehenden Platz in einer freien Gesellschaft und im menschlichen Leben einnehmen kann. Und ein Mensch, der sich frei und seiner individuellen Natur entsprechend entwickelt, ist auch relativ immun gegen Beeinflussung und Gehirnwäsche.
Ein Mensch, der innerlich frei und sich einigermaßen seiner selbst bewusst ist, hat auch kein Problem damit, mit Abweichungen von der scheinbaren Norm umzugehen. Er wird diese nicht nur widerwillig tolerieren, sondern wird akzeptieren, dass jeder Mensch ein Individuum ist, das sich von ihm selbst in sehr vielen Aspekten unterscheidet und wird sich vielleicht sogar über diese Vielfalt freuen.
Der Mensch ist kein Tier (oder sollte es zumindest nicht sein), das auf einen sehr engen Seinsrahmen programmiert ist. Er ist ein Wesen, das sich nicht zuletzt durch seine Fähigkeit zur Vielfalt von der Tierwelt zu lösen beginnt und sich in etwas gänzlich Neues hineinentwickelt. Es liegt an uns, diese Entwicklung zurückzuschrauben oder auszubremsen oder sie zu fördern und uns der Möglichkeit einer freien Entfaltung, eines vertrauensvollen Zusammenwachsens, einer inneren Einheit und eines Lebens in Frieden und Freude und Erfüllung zu öffnen.
Und man sollte in diesem Zusammenhang vielleicht auch mal über ein nationales und globales Wertesystem nachdenken, eine ethische Grundlage des Miteinanders und der Wissensvermittlung. Zwar sind viele westliche Staaten sozusagen pro forma säkular oder laizistisch, aber der Einfluss der Religion ist trotzdem sehr groß. Da das tatsächliche Interesse an Religion recht gering ist und zumindest in Deutschland bereits etwa ein drittel der Bevölkerung religionslos ist und ein geringer Teil der Bevölkerung nichtchristlichen Glaubens ist, ist dieser Gedanke nicht weit hergeholt. Über unser menschliches Wertesystem sollte es eine große gesellschaftliche Diskussion geben, und es sollte, anders als bei einer Religion üblich, regelmäßig aktualisiert werden.