Polyamorie bedeutet, Beziehungen zu mehreren Menschen gleichzeitig zu haben. Das klingt erst einmal verdächtig nach Polygamie, aber die Polyamorie unterscheidet sich von dieser dadurch, dass ein jeder in dieser Beziehungskonstellation frei ist, weitere Beziehungen einzugehen, nicht nur das Alpha-Männchen oder -Weibchen. Es mag vielleicht scheinen, dass diese Beziehungsform urplötzlich aus dem Nichts entstanden ist, aber tatsächlich ist sie das verspätete Ergebnis einer langen sozialen und Bewusstseinsevolution, die irgendwann in der Zukunft sicher auch in eine neue Gesellschaftsform münden wird.
Aber die polyamore Beziehungsweise ist nicht etwas, das uns einfach so mühelos zugeflogen kommt, denn im Gegensatz zum gesamten übrigen Leben gibt es hier keine Vorbilder, von denen wir lernen können und keinen an diese Lebensform angepassten sozialen Druck, sondern ganz im Gegenteil nur den Druck zur Konformität mit der Tradition. Darum ist es wichtig, ein Selbstbewusstsein zu entwickeln, das zumindest auf der Kenntnis eigener verborgener Seiten beruht, wie zum Beispiel verschiedenen Rollenmustern und dem normierenden Einfluss gesellschaftlicher Erwartungen, und das zu einem entsprechenden Wachstum des Bewusstseins führt. Dazu zählt auch die Auseinandersetzung mit der Vielfalt der Beziehungen, mit der Fülle der Liebe, mit der Beschränkung durch die Eifersucht und mit der Compersion, der Mitliebe, der Freude über die Lieben und Beziehungen der Partner.
Die Polyamorie stellt ein erstes Überwinden der Dualität dar, die unsere Gesellschaft so stark prägt. Statt einem ausschließlichen Entweder-oder lebt sie ein selbstverständliches Sowohl-als-auch und ist damit einer der Brückenbauer in eine hoffnungsfrohere und offenere Zukunft. Und bei einem Blick auf die legalen Aspekte polyamorer Beziehungen wird schnell klar, dass bei zunehmend komplexer und enger werdenden Beziehungen die bisherige Gesellschaft mit ihrem Rechtssystem eher ein Hindernis für die Entfaltung der polyamoren Beziehungsform darstellt, so dass ein tiefgreifender Wandel der Gesellschaft irgendwann unumgänglich sein wird.
In diesem Buch wird versucht, das Universum polyamorer Beziehungen und ihrer Möglichkeiten auszuloten und über die Polyamorie zu informieren. Es ist kein klassischer Ratgeber, etwa für den Umgang mit Eifersucht, sondern bietet Hilfe durch wachsendes Verständnis, durch Einblicke in die Natur der Polyamorie, der Beziehungsformen, des eigenen Innenlebens und die vielfältigen zukünftigen Möglichkeiten der Polyamorie. Und nicht zuletzt weist dieses Buch auf den Platz der Polyamorie in der Entfaltung des menschlichen Lebens und der Welt hin und beginnt, Grundlagen für ein polyamores Bewusstsein und Selbstverständnis zu legen.
Abgerundet wir das Buch durch einen kleinen Text Mira Alfassas über die Liebe, eine Besprechung des Theaterstücks „Geschlossene Gesellschaft“, das der polyamor lebende Autor Jean-Paul Sartre 1944 schrieb, und einem Vortrag Anand Buchwalds zum Mirapuri World Peace Festival 2010.