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(1) Als dritter Aspekt taucht dann die Frage auf, an welcher Natur man sich orientiert. Ist es das Pflanzenreich oder eher das Tierreich, da der Mensch ja diesem angehört? Im Tierreich muss man dann wieder unterscheiden, ob man sich an den „vollkommenen“ Insektenstaaten orientiert, was eine faschistische Gesellschaft zur Folge hätte, oder zu kannibalisierenden Frauen führen würde, wenn man sich die Gottesanbeterin zum Vorbild nimmt. Ansonsten stehen noch Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere zur Auswahl. Da der Mensch zu letzteren gehört, wird die Wahl wohl diese treffen. Aber auch hier ist die Auswahl groß: Raubtiere, Allesfresser oder Pflanzenfresser, Katzenartige, Wolfartige, Huftiere, Meeressäuger, Bären, Beuteltiere oder Primaten? Bei den Primaten die Orang-Utans, die Gorillas, die friedliebenden Bonobos oder doch lieber die aggressiveren Schimpansen? Die Auswahl ist groß, und für jede gewünschte Eigenschaft liefert die Natur mindestens ein Orientierungsbeispiel und unzählige Gegenbeispiele.

Wenn man jetzt die Sexualität als konkretes Beispiel nimmt, so sagen Vertreter des Naturrechts, die sich um diese Auswahlentscheidung drücken wollen, dass die Geschlechtsorgane dazu da sind, Nachwuchs zu zeugen, und dass sie deswegen zu nichts anderem verwendet werden dürfen. Also sind Selbstbefriedigung, Freude am Sex um seiner Selbst und des Vergnügens willen und Sex ohne Zeugungsabsicht sowie daraus folgend Verhütung, Sex mit Unfruchtbaren und Homosexualität, geschweige denn Bisexualität nicht erlaubt. Nun, die Natur sieht das wohl anders. So wurde bei Tieren durchaus schon Selbstbefriedigung beobachtet. Und die Bonobos etwa benutzen den Sex, auch gleichgeschlechtlichen, zu sozialen Zwecken, also zum Abbau von Aggressionen oder als Bindemittel für die Gemeinschaft, und wer weiß, vielleicht auch um sich einfach zu vergnügen oder die Zeit zu vertreiben. Und wenn man genauer hinsieht, bemerkt man auch, dass die hochgelobte Monogamie und Treue im Tierreich einen absoluten Ausnahmefall darstellen – Seitensprünge sind weit verbreitet, wenn nicht sogar die Regel. Wenn man also naturrechtlich argumentieren möchte, dann müsste man eigentlich sagen, dass unser Ideal der Treue und Monogamie dem Naturrecht widerspricht.

Besonders gerne wird das Naturrecht herangezogen, um die Homosexualität zu verteufeln, wobei wohlweislich ignoriert wird, dass Homosexualität keine Frage des Spaßfaktors oder des Lifestyles ist, sondern natürlicher Bestandteil der Natur und im Wesentlichen unveränderbar und angeboren. Es ist also nicht so, dass da plötzlich jemand sagt: „Ich stehe ja eigentlich auf das andere Geschlecht, aber ich beschließe mit sofortiger Wirkung, dass ich mich nur noch für das eigene Geschlecht interessiere, denn es macht viel mehr Spaß Anfeindungen, Ausgrenzungen und Angriffen ausgesetzt zu sein, als mich mit dem anderen Geschlecht zu beschäftigen.“ Niemand der auch nur halbwegs bei Trost ist, würde sich freiwillig für etwas entscheiden, das so sehr gegen seine individuelle Natur gerichtet ist. Und man muss sich auch die Frage stellen, warum es Homosexualität überhaupt gibt, vor allem in der höher entwickelten Tierwelt, wo sie häufiger auftritt, wenn sie keine sinnvolle Funktion erfüllt. Aus der Sicht des Naturrechts müsste Homosexualität also – in gewissem Umfang – eine gute und notwendige Sache sein. (Siehe hierzu auch den Aufsatz über „Natur, Evolution und Homosexualität“ im Anhang.)

Die Vorstellung eines Naturrechts ist also nach den bisherigen Erkenntnissen und in dieser Form nicht praktikabel. Es scheint eine reine Fiktion zu sein. Aber man kann das Naturrecht auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten, der vielleicht mehr Sinn ergibt und der eher von der Juristerei eingenommen wird. Die Vertreter des Naturrechtes als moralische Instanz stellen die Natur als Vorbild über den Menschen und machen sie zum Maß aller Dinge. Wenn man die Natur aber als eine Entität mit einer Art Agenda betrachtet, dann hat sie mit dem Menschen erstmalig etwas geschaffen, das fähig ist, sie wahrzunehmen, sich in gewissem Rahmen von ihr zu distanzieren und über sie und sich selbst zu reflektieren. Wir haben mit der Einführung des Mentalen als neuer Seinsebene ein Entwicklungsstadium erreicht, das über die bisherige biologische Robotik hinausreicht und uns einzigartige Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Wenn man in der Art der traditionalistischen und religiösen Naturrechtsverfechter sagt, dass die Natur unser Vorbild ist und das Maß aller Dinge, dann betrachtet man die Natur als etwas Überlegenes, als eine Grenze, die wir nicht überschreiten können und die uns durch ihre bloße Existenz sagt, dass wir uns gar nicht erst bemühen brauchen, uns weiterzuentwickeln, weil vor uns nichts mehr ist. Das ist praktisch ein naturrechtlicher Fatalismus. Auch wird damit nicht berücksichtigt, ….

(2) Nun, wir leben heute in einer anderen Zeit – nach der Einführung des sexuellen Sündenfalls. Wir haben unsere sexuelle Unschuld verloren und müssen in einer Welt zurechtkommen, die von sexuellen Schubladen und willkürlichen Querverbindungen dominiert wird. Unter dem Einfluss der Religionen, die sich zur Zeit gerade gegen ihren Untergang aufbäumen und doch zielsicher in diesen hineinsteuern, ist die Gesellschaft gegen die Homosexualität eingestellt, in manchen Ländern mehr, in anderen weniger und manche sind darüber regelrecht in sich zerstritten. Aber seit ein paar Jahrzehnten entspannt sich das Klima, vor allem in Staaten mit einer gewissen demokratischen Tradition.

Trotzdem gibt es immer wieder Bemühungen um einen Maulkorberlass (Russland) oder um die Einführung der Todesstrafe für Homosexuelle (Uganda), die das Leben für homosexuelle Menschen unangenehm bis gefährlich machen. Dies hat zur Folge, dass diese in ihrem Ausdruck behindert oder unterdrückt werden, sich abschotten oder gar das Land verlassen. In etwas milderer Form geschieht dies auch innerhalb einzelner Länder, wenn etwa die Landbevölkerung als repressiv empfunden wird und eine Flucht in die großen Städte einsetzt, wo man sich eher entfalten kann. Dies hat dann natürlich auch Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft dieser Regionen. Die Menschen, die es sich leisten können, aus einem repressiven Staat auszuwandern, sind meist technisch versiert, gut ausgebildet, begabt oder künstlerisch tätig. Das bedeutet, dass solche Staaten einen Teil ihrer Elite und ihrer Innovations- und Fortschrittskraft einbüßen, während offenere und fortschrittliche Staaten hier noch hinzugewinnen.

Allerdings ist das nur die äußere, wirtschaftlich-technologisch-künstlerische Auswirkung. Bedenklicher sind die gesellschaftlichen Entwicklungen, die dadurch angestoßen werden. Mengenmäßig betreffen solche Repressionen und die daraus folgenden Fluchtbewegungen zwar nicht allzu viele Menschen, aber eingangs wurde ja bereits der Verdacht geäußert, dass auch ein so geringer Prozentsatz von offen lebenden Homosexuellen eine Auswirkung auf das gesellschaftliche Leben hat. Für diese Auswirkung gibt es dann natürlich einen eigenen Tipping Point. Da der Prozentsatz homosexueller Menschen ohnehin immer klein aber wohl stabil war, kann man davon ausgehen, dass der Tipping Point hier die ganze Gemeinschaft homosexuell empfindender Menschen umfasst oder nur wenig kleiner ist. Das bedeutet, dass so eine Land- und Staatenflucht und die Unterdrückung homosexuellen Lebens früher oder später Auswirkungen zeitigen muss.

(3)  Die Betätigungen der oberen Ränge hatten aber auch noch einen anderen, wesentlicheren Beweggrund als die aus der Kindheit übernommenen Atavismen und blinden Flecken: die Politik. Während das Bedürfnis nach Religion zwar in den Anfangszeiten aus den Menschen heraus entstanden ist und Religion und weltliche Macht noch integrale Bestandteile der sich entwickelnden Gesellschaften waren, kam es später zu einer zunehmenden Aufgabentrennung und zu einem Kampf um die Macht über die Schäflein. Die Machtmittel der Religion waren dabei anfangs emotional-religiöser Natur: der Wille Gottes, der sich durch die Vertreter der religiösen Hierarchie ausdrückte, und die Angst vor einem allmächtigen, zornigen und eifersüchtigen Gott, der bisweilen, den Äußerungen der Hierarchie zufolge, Anspruch darauf erhob, alle Bereiche des menschlichen Lebens zu regeln. In diesem Kampf versuchten beide Parteien ihre Macht auszuweiten, indem sie ihre Regelungswut auf immer mehr Bereiche des menschlichen Lebens ausweiteten. Dabei besann sich die Religion auf eine bisher vor allem von Traditionen gelenkte Urmacht: die Sexualität.

Diese war zwar bisher auch schon reguliert, aber nur in Maßen. In den Herrscherhäusern (und auch im Klerus selbst) wurde die Sexualität, vor allem im christlichen Religionsraum, großzügig als Privatangelegenheit gesehen und gehandhabt. Das änderte sich nach und nach. Sexualität und Beziehungen wurden religionsseitig stärker reguliert, von Konkubinat und vorehelichem Sex bis hin zu der Vorgabe, Sex nur zum Zwecke der Kinderzeugung auszuüben oder einander nicht nackt zu sehen, um keine lustvollen Gedanken und Empfindungen auszulösen, und jeder Herrscher, der sich nicht an die verschärften Vorgaben hielt, konnte mit dem Schwert der drohenden Exkommunikation, die sein Ansehen und seine Königswürde beschädigt und ihn angreifbar gemacht hätte, gefügig gemacht werden. Und Scheidungen bzw. Annullierungen von Eheschließungen ließ sich die Kirche, wenn sie diese überhaupt gestattete, teuer bezahlen, was schließlich auch zur Bildung der anglikanischen Kirche führte, damit sich Heinrich VIII scheiden lassen konnte. Trotzdem etablierte sich im Mittelalter in Europa eine Badekultur, die von der Kirche wegen des Funfaktors, der Ungezwungenheit, der halbwegs öffentlichen Nacktheit, dem Versuchungspotential und der lockeren Sitten nicht gerne gesehen wurde, deren Ende aber erst durch die aus Amerika eingeschleppte Syphilis eingeleitet wurde.

Waren Ehen früher überwiegend private Angelegenheiten oder Gegenstand von familiären Vereinbarungen und stellenweise sogar Pflicht, so änderte sich das mit dem Aufkommen des Christentums langsam aber gründlich. Anfangs verkündete die Kirche Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit als höchste Werte, vielleicht auch, um sich von der römischen Kultur mit Ehepflicht und sexueller Freizügigkeit abzugrenzen, aber nachdem die Ehepflicht durch den Einfluss des Christentums im römischen Kaiserreich abgeschafft wurde, schwand der Einfluss dieser Lehre. Im Mittelalter wurde die Eheschließung, die bis dahin noch überwiegend eine Privatangelegenheit war, zu einem Sakrament erklärt, wodurch dann auch die bis dahin möglichen Scheidungen undurchführbar wurden, weil die Ehe nun unauflösbar war. Erst das Aufkommen des Prostestantismus, der Aufklärung, des Humanismus und der weltlichen Eheschließung minderten diese Einschnitte in die Freiheit der persönlichen Sexualität und Beziehungsformung ein wenig.

(4) n diesem neuen Licht betrachtet, ist wirkliche Spiritualität nicht nur weltoffen, sondern ihrer Natur nach allumfassend. Alles ist seiner tiefsten Natur nach göttlich und muss darum in die spirituelle Bemühung eingebunden werden. Dazu zählt die Materie ebenso wie die Sexualität.

Sri Aurobindo schreibt über Spiritualität: „Spiritualität ist in ihrer Essenz ein Erwachen zur inneren Wirklichkeit unseres Seins, zu einem Spirit, einem Selbst, einer Seele, welche anders ist als unser Geist, Leben und Körper, eine Aspiration, dies zu wissen, zu fühlen, zu sein, mit dieser größeren Wirklichkeit in Kontakt zu treten, die sich jenseits des Universums befindet und dieses durchdringt und die auch in unserem eigenen Sein wohnt, sich mit ihr auszutauschen und mit ihr eins zu sein, sie ist eine Wende, eine Umwandlung, eine Transformation unseres ganzen Wesens als ein Ergebnis der Aspiration, des Kontaktes, der Einung, ein Wachsen oder Erwachen in ein neues Werden oder ein neues Sein, ein neues Selbst, eine neue Natur.“ Mit einer solchen Sicht der Spiritualität kann man nichts ausschließen, sondern muss allumfassend auf alles Sein zugehen.

Die Instrumente für diese Bemühung sind das Selbst, das in uns, was wir – jenseits unserer Gedankenwelt – als unseren Wesenskern bezeichnen, die Seele. Die Suche nach den Erkenntnisinstrumenten, nach der Seele und dem Spirit in uns, ist darum der Beginn der Spiritualität. Und nach der alten Auffassung von Spiritualität hindert die Materie und vor allem die Sexualität uns daran, diese Erkenntnisinstrumente zu entdecken und hervortreten zu lassen. (Siehe hierzu auch das Kapitel Sexualität und spirituelle Entwicklung im Anhang.) Und neben der Sexualität zählen auch Besitz und Macht zu diesen Hindernissen, weshalb ein Leben in Armut, Enthaltsamkeit und Nichtigkeit als Leitlinie für ein spirituelles oder gottgefälliges Leben gilt. Aber dabei wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und Ursache und Wirkung verkannt. Das führt zum allseits bekannten Verdammen von Symptomen, statt das Problem selbst in Angriff zu nehmen.

Das Problem ist nicht die Macht, der man sich enthalten soll, sondern der Umgang mit ihr, der zu Machtsucht, Machtkämpfen und Kriegen führt; nicht die Macht ist das Problem, sondern ihr Einsatz und die innere Einstellung zu ihr. Der Umgang mit Macht sollte zu Bescheidenheit führen und sollte dem Geiste des Dienens und der Demut entspringen. Wenn dem überall auf der Welt so wäre, dann hätten wir Frieden, Welteinheit, Einklang, Liebe und Wohlstand.

Das Problem ist nicht der Besitz und das Geld, dessen man sich enthalten soll, sondern der Umgang mit ihm, der zu Raubtierkapitalismus, Hartherzigkeit, Armut, Hunger, Zwietracht, Verzweiflung, Verteilungskriegen… führt; nicht der Besitz ist das Problem, sondern sein Einsatz und die innere Einstellung zu ihm. Der Umgang mit Besitz sollte zu Gemeinschaft und globalem Wohlstand führen und sollte dem Geist des Miteinanders, der Verantwortung und des Teilens entspringen. Wenn dem überall auf der Welt so wäre, dann hätten wir Zusammenarbeit, ausreichend zu essen und zu trinken, saubere Energien, eine intakte Umwelt – ein Paradies für jeden.

Und das Problem ist nicht der Sex, dessen man sich enthalten soll, sondern der Umgang mit ihm, der zu Lieblosigkeit, Egoismus, Gier, Verdrängung und Entmenschlichung führt. Nicht der Sex ist das Problem, sondern seine Ausführung und Anwendung und die innere Einstellung zu ihm. Der Umgang mit Sex sollte zu Zufriedenheit, und zur Verwirklichung innerer Einheit und Freiheit und zur Einheit mit anderen Menschen führen, zu einer Befreiung von fesselnden Konventionen und Denkschemata, und er sollte dem Geist der Liebe entspringen, die unser Wesen und Sein durchströmt. Wenn dem überall auf der Welt so wäre, dann würde ein Großteil aller zwischenmenschlichen Probleme verschwinden, die Menschen würden einander verstehen, hätten für alles Verständnis, würden einander unterstützen, alles teilen und die Welt mit Liebe regieren.

Besitz, Macht und Sex sind also nichts an sich Böses, sondern werden meist nicht im richtigen Bewusstsein gebraucht. Und so wie der Glaube die Domäne der Religion ist, ist die Bewusstwerdung die Domäne der Spiritualität. Die drei großen Neins sind also keine absoluten Verhinderer, sondern nur Hindernisse auf dem spirituellen Weg. Und dieser Weg hält noch viel mehr Hindernisse für den Suchenden bereit. All diesen Hindernissen aus dem Weg zu gehen, ist völlig unmöglich und ändert nicht das Geringste an der Natur dieser Hindernisse und am Umgang mit ihnen. Auf dem Weg nach Vereinfachung der spirituellen Suche hat sich dann neben dem Versuch des Ausweichens, etwa in einsame Höhlen im Himalaya, langsam eine Unkultur des Verdrängens etabliert. Und statt sich zu sagen: „Ich will kein willfähriger Diener der Macht… sein, sondern das Bewusstsein entwickeln, sie richtig anzuwenden.“ sagt man sich: „Ich will mit der Macht… nichts zu tun haben. Weiche von mir!“. Doch das ist das Letzte, das diese Dinge tun werden.

Wenn etwas ein Hindernis auf unserem Weg ist, dann meist deshalb, weil wir damit nicht umzugehen verstehen. Als Kind müssen wir lernen, auf zwei Beinen zu stehen, ehe wir laufen können. Verweigern wir uns diesem Lernvorgang, dann …

(5) Es geht hier um die Geschlechterrollen und natürlich wieder um die Naturdiskussion, also um die Frage, welche Rolle die Natur für Männer und Frauen vorgesehen hat und damit auch um patriarchalische und matriarchalische Weltbilder. Ein Blick in die Natur ist hier nicht sehr hilfreich, denn die Natur kennt alles: Mal kümmert sich das Weibchen um den Nachwuchs, vor allem bei Säugetieren, mal das Männchen, mal beide; mal gibt das Männchen den Ton an, mal das Weibchen. Wer sich bei welchen Arten jeweils durchsetzt, hängt dabei wohl nicht von generellen Tendenzen ab, sondern eher davon, was sich für die einzelnen Arten und Umweltbedingungen als am Besten herausgestellt und gefestigt hat. Die Natur ist da wohl eher pragmatisch als programmatisch, und in diesem Punkt kann der Mensch tatsächlich von ihr lernen.

In der Natur sind Rollenbilder offensichtlich vererbt oder aus Optimierungsprozessen entstanden und so eingeschliffen, dass sie auf sozialem Wege, genetisch oder über morphogenetische Felder weitergegeben werden. Der Mensch ist entwicklungsgeschichtlich eine ausgesprochen junge Spezies und hat wohl auch schon alles ausprobiert, ohne zu einem definitiven Ergebnis gekommen zu sein. Man kann das natürlich so interpretieren, dass wir uns noch in einem Eruierungsprozess befinden, um herauszufinden, ob Matriarchat oder Patriarchat für unsere Spezies das bessere Gesellschaftsmodell ist. Aber bis die Natur das herausgearbeitet hat – falls sie hier zu einen klaren Ergebnis kommt, was zweifelhaft erscheint –, haben wir uns schon längst selbst ausgerottet.

Wir sollten statt dessen an diesem Punkt anfangen, nicht für alles auf die Natur zu schauen, oder zumindest die größeren Zusammenhänge und Tendenzen klarer zu sehen. Wir müssen anfangen, erwachsen zu werden und ein Leben zu führen, das unserer eigenen inneren Natur und unserem Entwicklungspotenzial entspricht und nicht überlegen, ob wir uns jetzt mehr wie Bonobos oder vielleicht doch eher wie Schimpansen entwickeln sollten. Wir müssen anfangen, zu wirklichen Menschen zu werden, zu Zukunftsmenschen, und die Fähigkeiten zu nutzen, die uns die Natur mit ins Menschentum gegeben hat und die den Tieren längst nicht in diesem Ausmaß zur Verfügung stehen. Wir müssen uns nicht fragen, was andere Spezies machen, auch wenn das sehr interessant und informativ ist, sondern wir müssen uns fragen, was für uns gut und sinnvoll ist. Patriarchat und Matriarchat gehören jedenfalls nicht dazu; das sind tierische Konzepte, die uns in unserer Entwicklung nicht weiterhelfen. Eine Gleichberechtigung der Geschlechter ist da schon eher menschenwürdig und ein Konzept, das zwar aus der Evolution entstehen kann, uns aber letztlich über die rein biologische Evolution hinaus zu wahrem Menschsein führt.

Gleichberechtigung bedeutet aber nur gleiches Recht, nicht gleiche Befähigung. Dass es biologisch verschiedene Geschlechter gibt, ist klar. Dass sich die Geschlechter in ihrer Befähigung unterscheiden, ist auch klar; ein Mann kann nun mal kein Kind austragen und stillen. Wo aber die Grenzen dieser Unterschiede liegen, wie also die geschlechtsspezifischen menschlichen Rollenbilder aussehen, ist nicht so klar. Wenn man sich nun die Rollenbilder in verschiedenen Kulturen ansieht, dann kann mein eigentlich fast alles finden: Was in einer Kultur als Frauenarbeit oder -eigenheit gilt, mag in anderen Kulturen den Männern zugeordnet sein und umgekehrt. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass unser Rollenverhalten überwiegend kulturell geprägt ist und uns eine ganze Reihe von Verhaltensmustern zur Verfügung steht, die im Grunde genommen eher menschlich als geschlechtlich sind.

Davon abgesehen gibt es aber wohl auch Verhaltensmuster, die tatsächlich geschlechtsspezifisch sind. Welche dieser Rollenbilder und Verhaltensweisen nun tatsächlich durch die Ge­schlechts­iden­ti­tät geprägt sind und welche kulturelle Ursprünge haben, wird sich aber kaum zufriedenstellend herausarbeiten lassen, weil bestimmt manche angeborenen Eigenschaften kulturell überschrieben werden.

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